Trauer, das heißt das Leben zu feiern. Wenn man es zulässt?

Seit dem 22. September 2017 gehören wir in die Welt der Verwaisten Eltern. Überall steht, dass das eine andere Welt ist.  Gerade im vermeintlichen Neuen angekommen, wurden uns in Büchern, in Trauergruppen und in Online Artikeln immer die gleiche Aussage zu Teil: du musst die Trauer zulassen, sonst wirst du krank. Das Ganze unterstrichen durch dunkle Buchfarben, Wolken verhangene Bilder, düstere Naturszenen. Wird ab jetzt dies die Welt sein, in der wir leben müssen? Müssen wir in diesem Dunklen sein, damit wir richtig trauern? Was heißt richtig trauern? Kann ich was falsch machen?

Ich verspürte nur Angst beim Lesen und Zuhören dieser uns nun anvertrauten Zeilen und Welt. Was ist das für eine Welt der verwaisten Eltern? Ist sie so anders als die der anderen? Ist sie so viel schlechter als die der anderen? Ist sie nur noch düster und grau? Ja, sie ist anders. Sie ist so anders weil wir unseren Lieben die Augen schließen mussten und doch haben sie uns die Augen geöffnet. Unsere Augen sind anders wach als die der anderen. Dem Tod haben wir ins Auge gesehen. Wie war er? Friedlich und sanft oder gewaltig und plötzlich oder langsam und quälend? So wie er war, so scheint auch unsere Welt zu sein. Voll Bildern, die unsere Augen jetzt ertragen müssen und die immer wieder hoch kommen in dieser alten und doch anderen Welt.

Was sehen wir? Sehen wir das vermeintliche Glück der anderen neben unseren Bildern des Todes? Sehen wir die vermeintlich heile Welt der anderen? Oder sehen wir vielleicht nur uns und unsere Bilder? Sind gar blind für die anderen geworden? Ich habe mich entschlossen mit den Augen meines Sohnes zu sehen. Die Augen eines fast zweijährigen sind neugierig, unvoreingenommen, offen. Mit diesen Augen sehe ich unsichere Menschen vor mir. Sie schauen beängstigt, wenn sie mich sehen. Vielleicht wechseln sie sogar die Straße. Sie haben Angst vor den Bildern, die ich sehe, während wir uns unterhalten und auf der Straße begegnen. Und ich weiß: ich sehe so Vieles mehr als sie. Vielleicht sollte ich Ihnen das mal ganz direkt sagen? Im Guten. Ich habe den Tod im Körper meines Sohnes gesehen. Er kam über Nacht. Mein Sohn ist mit ihm gegangen. Seine Hülle, sie blieb. Sie sah verlassen aus, kraftlos, kalt und mit Spuren des verlorenen Kampfes. Er ist ausgezogen, wusste ich. So sah er aus, sein Tod.

Und ja - ich laufe täglich zum Bäcker und manchmal sehe ich einen kleinen Jungen und denke an meinen Sohn. Ich sehe meinen Sohn auf einmal lebendig vor mir. Lachend, strahlend - so bist du. Und ja, Sekunden später sehe ich seine Hülle. Ja, es ist geschehen. Du bist tot. Im Bruchteil einer Sekunde sehe ich die Realität, spüre die Vergangenheit und begreife denn Tod. Ja und diesen Dreiklang sehen nur wir - jeden Tag. Deshalb sehen wir anders.

Dieses andere Sehen ist anstrengend. Es kann endlos traurig machen. Es frisst unendlich viel Energie. Es kann den Blick für die Realität nehmen und in der Vergangenheit und dem Tod harren lassen. Aber es kann auch etwas ganz anderes erlauben: die Sicht auf das Gute, das Schöne, das Besondere. 

Wie unendlich schön war die Zeit mit unserem Sohn? Wie dankbar sind wir für ihn und für uns, dass wir diese Momente hatten? Und diese Momente kann uns niemand nehmen. Sie sind da. Überwiegen nicht sie die dunklen Bilder des Todes? Müssen wir sie nicht überwiegen lassen? Unseren Kindern wegen. Wollen wir sie auf das Dunkle, das Traurige, den Tod reduzieren? Oder dürfen wir ihr Leben feiern? 

Ich möchte das Leben feiern, dass mir diesen wunderbaren, energiegeladenen, immer fröhlichen Sohn geschenkt hat. Das mir gezeigt hat, was pures Glück ist, was bedingungslose Liebe ist. Das mich jetzt behutsam führt und liebevolle Menschen zur Seite stellt nach all der Gewalt, die mir zu Teil wurde. Und ja, aus diesen Tagen des Feierns nehme ich die Kraft für die Tage der unendlichen Sehnsucht. Denn auch sie gehören jetzt dazu, zum anderen Leben

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