Das unsichtbare Kind
Es ist nun sechs Monate her, dass unser Sohn überraschend und über Nacht aus dem Leben gerissen wurde. Es sind schon 6 Monate und doch erst 6 Monate. Gemessen an der Entwicklungszeit eines Kindes ist das eine Ewigkeit. Seine kleine Schwester ist nun 5,5 Monate alt, wiegt knapp acht Kilo und ist kurz davor durch die Wohnung zu robben.
Was Richard wohl alles könnte? So Vieles und doch konnte er schon Alles. Alles, was er mit 22 Monaten können musste, konnte er längst. Alles, was er mit 22 Monaten hat sehen sollen, hat er gesehen. Alles, was man im Leben lernen muss, hat er gelernt: bedingungslos zu lieben und geliebt zu sein.
Ich sehe Menschen auf der Straße anders als vor seinem Tod. Genauer, tiefer, kritischer. Ich schaue oft in traurige, gehetzte, genervte und gestresste Augen. Kinder, die müde, traurig und krank schauen. Die überall mit hin müssen, tausend Aktivitäten am Tag haben müssen. Der Stress der Welt hat auch sie längst erfasst. Sie sind hier, er nicht.
Er ist gegangen als das Leben am Schönsten war. Bevor Leid und Sorgen in sein Leben traten. Bevor er von der Welt enttäuscht wurde. Bevor er seine Eltern teilen musste. Er ist gegangen als er im Hier und Jetzt lebte. Ein Morgen kannte er noch nicht. Das Hier und Jetzt war wunderbar. Er war wunderbar. Er ist wunderbar.
Viele Gesichter haben sich in den letzten Monaten intensiviert. Haben uns beigestanden, stehen uns bei. Dachten an ihn und denken an ihn. Neue Gesichter sind überraschend dazu gekommen. Wir sind dankbar für die Unterstützung. Für das Verständnis uns so zu nehmen, wie wir jetzt sind und sein werden. Mit unsichtbarem Kind.