Ein Kind im Herzen & zwei an der Hand
Es ist März - endlich oder schon? Ende März ist Stichtag unseres dritten Kindes & unseres zweiten Sohnes. Die letzten neun Monate, die letzten siebzehn Monate - zwei Zeitrechnungen. Freuen auf das neue Leben, Trauer um das genommene Leben. Einen Spagat, den wir doch schon in aller Brutalität kennengelernt haben. Und doch sind es immer wieder das Leben & die Erinnerung, die uns Kraft, Freude & Zuversicht geben.
Zwei Kinder - das war immer mein Wunsch. Hauptsache gesund - das sagt man ja immer. Wie es so ist, wenn man erst durch Kinderwunschbehandlung schwanger wird, hat man die ganze Schwangerschaft über gewisse Ängste. Hoffentlich geht alles gut, vielleicht auch Ängste, die man beim zweiten Kind besonders hat, weil die Schwangerschaft gefühlt zu kurz kommt. Ganz kurzfristig fanden wir noch eine neue Wohnung - im August 2017 dann der Umzug und mich packte im September 2017 dann in der neuen Wohnung der Nestbautrieb. Yeah - alles schien bald perfekt zu sein. Der erste Moment kam an dem ich Aberglaube ablegte und dachte: jetzt freu dich doch! Jetzt ist es bald geschafft.
Der Moment an dem ich mich erstmals freute war jener aus dem das rechte Foto oben stammt. Richard im Auto beim Mittagsschlaf am 21. September 2017…keine 24 Stunden später war er verstorben… Als ich das Foto machte wartete ich im Auto und schaute ihn mir an und träumte weiter den perfekten Traum. Und ja-ich ertappe mich nun drei Wochen vor ET bei dem Gedanken an Freude. Es bald geschafft zu haben. Es fühlt sich so seltsam vertraut und doch beängstigend anders an. Aber was heißt eigentlich “geschafft”? Ja, mein Körper freut sich darauf endlich wieder meins zu sein. Schwangerschaft genießen? Ja, die Leute soll es geben. Ich genieße es immer nur 3 Monate lang. Dann reicht es mir. Geschafft? Ja, ich hoffe das uns das Leben gewogen bleibt und diese zwei Kinder gesund und glücklich aufwachsen dürfen. Geschafft? Eine vollständige Familie zu sein? Was heißt vollständig? Im Herzen ja - drei Kinder. Nach außen? Nie wieder.
Es werden immer 3 Kinder und nicht 2 Kinder sein und auch unser Alltag sieht aus wie ein Alltag mit 3 und nicht 2 Kindern. Ein Umstand von dem mir viele verwaiste Mütter berichteten. Von außen wird man in Jahren die zwei sehen, aber es werden immer 3 sein. Es ist so schwer zu erklären, dass man eben immer auch bei seinem verstorbenen Kind ist: physisch mit den 2 Stunden jeden Tag, die die Fahrt und die Zeit am Grab bedeuten, mental, wenn einem im Alltag die vielen Gedanken rund um Verarbeitung, Trauer und Erinnerung einholen. Es sind Drei….
Viele im Umfeld hatten Sorgen um uns - wohlgemeinte und sicherlich auch verständliche Sorgen. So ein Sprint - so kurz nach dem Tod wieder schwanger sein. Aber ich spürte für mich, dass es heilsam sein kann und würde.
Nein, kein Kind kann ein Anderes ersetzen. Und ich bin beruhigt, wie präsent er bei uns ist. Immer ist, wie oben beschrieben. Aber für unsere Familie ist es wunderbar, dass bald ein drittes Kind und ein zweites Kind an die Hand kommt. Es erleichtert Louisas Schicksal, es hilft sein Andenken zu wahren, es erfreut uns, denn eines wissen wir ganz genau, wie kostbar Kinder sind.
Ängste?
Um die Schwangerschaft einerseits, um unsere Tochter andererseits. Ist sie nicht zu jung, er war schon älter und selbstständiger, wird die Schwangerschaft mich zu stark einschränken, wie kann ich meine Trauer rauslassen mit der Verantwortung, wird das Ungeborene den Verlustschmerz, die Wut, die gewaltigen Emotionen spüren, kann man Traumata vererben, wie werden die Leute reagieren?
Aber Ängste versauen uns das Leben im Hier und Jetzt. Und das Hier und Jetzt ist mir einfach zu kostbar. Und wann ist ein guter Zeitpunkt für ein weiteres Kind, wenn man ein Kind verloren hat? Gibt es da überhaupt so etwas wie einen guten Zeitpunkt?
Jederzeit, sage ich. Jederzeit, wenn man verstanden hat, dass der Tod endgültig gewesen ist, wenn man annimmt, dass jedes Kind anders ist und keines so wie das andere sein kann und wird.
Jederzeit, wenn man um die Kürze des Lebens weiß.
Jederzeit, wenn man sich aus dem Gerede anderer (weniger) keine Gedanken macht.
Jederzeit, wenn man sich bewusst macht, dass Kinder das größte Geschenk des Lebens sind und nicht die größte Belastung.
Und ja - Mama 2.0. - das ist immer noch verdammt schön. Verdammt schön, weil ich die Zeit mit ihm an der Hand unendlich nah spüre, ihm so dankbar für so Vieles bin und er mich immer begleitet. Und so verdammt schön, weil auch sie uns an der Hand zieht, auf Trapp hält, so oft zum Lachen bringt, so oft in den Arm nimmt, wenn wir weinen müssen, am Grab winkt und uns Liebe schenkt.
Und ja - Mama 2.0. kann auch verdammt anstrengend sein. Kinderkrankheiten - ich kannte sie mit ihm nicht. Er war nie krank oder wenn, dann war er so stark, dass er bei 40 Grad Fieber noch ohne Fiebermittel lachen konnte. Sie ist da anders oder um es mit den Worten meines Mannes zu sagen: ganz die Mama. Ja…ich denke ich gehöre auch zur Sorte Mensch: ab 38 Grad gebt mir was! Aber das ist ok. Das ist doch sogar echt gut! Es ist ein gesunder Schutzmechanismus - je früher er anschlägt, desto besser!
Schwangerschaft, Babyjahre, Kinderjahre - es vergeht alles unfassbar schnell, kann ermüdend sein und dennoch ist es eine Kunst sich immer wieder zu sagen: am Ende unseres Lebens werden es genau diese Jahre sein auf die wir zurückschauen und sagen werden: es war doch die schönste Zeit! Also keine Zeit verlieren, genießen, kuscheln und nicht zu viel denken. Kinder bekommen - das geht jederzeit!