Wie trauert man richtig? Welche Rolle spielt eine Therapie?

Heute las ich in Megan Divines Buch ‚Its ok not to be ok‘. Ich mag ihre analytisch direkte Art und finde mich in vielen Aussagen über Trauerkultur & Trauerprozesse wieder. Ein Kapitel animierte mich besonders meine Erfahrungen zu teilen. Das Thema: Therapie. Ich wurde wiederholt gefragt, ob ich eine Therapie gemacht habe.

Ja! Ich war drei Monate in Therapie (tiefenpsychologischer Ansatz). Ich hatte das große Glück direkt nach der Geburt unserer Tochter (und damit zwei Wochen nach seinem Tod) ohne Wartezeit eine unfassbar fähige Psychotherapeutin kennenzulernen, die gleichzeitig lange Zeit an einem Klinikum als Oberärztin für Hämatologie tätig gewesen ist. Gefunden habe ich sie durch Googlen – ich wollte jemanden, der nicht nur mit Psychologie vertraut ist, sondern auch medizinisch den Tod meines Sohnes beäugen kann. Ebenso war mir wichtig, dass der Therapeut sich mit den Themen Trauer und Trauma auskennt, womöglich persönliche Erfahrungen hat.

Sie war besonders hilfreich in der frühen Trauerzeit, in der ich die Bilder des Todes, die Ursachen des plötzlichen Todes, Schuldgefühle und die Auseinandersetzung mit dem Umfeld verarbeiten musste. Beendet habe ich die Therapie, weil ich das Gefühl hatte alles besprochen zu haben. Die Gedankenschleifen selber reduzieren und abstellen gelernt habe. Die Zeit wollte ich dann anders einsetzen und zwar für das wahre Leben, das ich als meine eigentliche Therapie entdeckt habe. Mir haben aber zu jeder Zeit die Gespräche mit meiner Therapeutin sehr gut getan. Sie gaben mir Kraft. Anschließend ging ich einige Zeit im Stadtpark (menschenleer) spazieren, um das Gespräch und verbundene Gedanken und Gefühle zu verarbeiten. (Die Zeit zum Verarbeiten muss jeder einplanen, der eine Therapie machen will. Man kann nicht die Stunde danach wieder in den Alltag springen).

Zurück zum Buch und meinen Beobachtungen. Megan Divine kritisiert die Haltung mancher Therapeuten, die sich primär an den wissenschaftlichen Beobachtungen von Elisabeth Kügler-Ross und Verena Kast orientieren. Beide propagieren einen in Stufen verlaufenden Trauerprozess. Diese Vorstellung fester Schemata, die man exakt zu durchlaufen hat, wird von Divine kritisiert. Ebenso der Umstand, dass manche Therapeuten leider viel zu oft der Ansicht sind, dass Trauer irgendwann abgeschlossen sein muss und mit Medikamenten behandelt werden sollte.

Ich erinnere mich, wie ich in der ersten Zeit unmittelbar nach dem Tod unseres Sohnes Bücher der Autoren las und mir folgende Sätze dabei immer wieder begegneten und Angst machten: wer falsch trauert, wird krank. Pathologische Trauer macht krank. Aber wie bitte schön trauert man richtig? Diese Frage trieb mich umher und war sicherlich ein Grund, warum ich eine Therapie machen wollte.

Und diese Vorstellung ist es, mit der man sich selbst als Trauernder - und mitunter von der Außenwelt - unbewusst unter Druck setzen lassen kann. Der Glauben, dass es einen richtigen, den einen Trauerweg gibt, der von einem Therapeuten begleitet werden muss. Der Glaube, dass der Therapeut es schon fixen wird. So als sei Trauer eine Krankheit, die man mit Mittelchen heilen kann. Ebenso das Stichwort “Los lassen”. Mir machte das Wort. Loslassen klang wie vergessen für mich. Und warum etwas loslassen was doch immer Teil sein wird? Man kann lernen den Schmerz, bestimmte Gedanken los zu lassen, aber sicherlich nicht den Verstorbenen. Das kann ich jetzt nach fast zwei Jahren sagen. Nur am Anfang der Trauer, da weiß man nicht was einen erwartet. Man kann sich nichts vorstellen. Alles ist unendlich schwer und man hat Angst etwas falsch zu machen. Und diese Denkweise, des Richtigen und des Falschen, entspringt unserem tiefsten Inneren. Eine Denkweise das Leben in Schemata mit gerecht und ungerecht, richtig und falsch, pressen zu wollen, wie man es anerzogen, in der Schule gelehrt bekommen hat.

Vielleicht steckt hinter dem Glauben auch einfach nur Hoffnung, dass dem Trauernden damit geholfen wird. Denn trotz aller Auseinandersetzungen, die einem im Umfeld begegnen können, haben alle den Wunsch, dass den Trauernden geholfen werden kann.

Dankbar bin ich meiner Therapeutin, die mir gleich in der ersten Sitzung die Angst nahm. Sie sagte: die Trauer wird Teil Ihres Lebens bleiben. Der Schmerz wird bleiben. Er wird sich wandeln, aber er bleibt Teil von Ihnen und Ihr Weg ist der richtige Weg. Es gibt kein richtig oder falsch in der Trauer. Falsch ist nur, wenn die Trauer nicht raus kann. Und ja – sie hat so recht damit.

Ich verspürte damals Druck durch die Nachfrage: gehst du zur Therapie? Eben weil ich wusste, dass die Therapie zwar Denkanstöße geben kann, Methoden vermitteln kann, um mit traumatischen Bildern umzugehen, aber eben nichts an der grundsätzlichen Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen ändern kann. Hier war ich auch mitunter enttäuscht. Ich hatte auch gedacht, dass man mir irgendwie die Trauer abnimmt. Die Schwere.

Aber: Gefühle muss man fühlen. Da hilft auch kein Therapeut. Er kann helfen die Gefühle zu verstehen, Muster zu erkennen, Maßnahmen benennen, um die Gefühle in ihrer Heftigkeit steuern zu lernen. Aber die TrauerARBEIT macht nicht der Therapeut, sondern jeder Trauernde.

Und genau aus diesem Grund habe ich grundsätzlich eine Anti-Haltung gegen Medikamente. Ich selbst habe zu keiner Zeit etwas genommen. Für meine Therapeutin stellte sich diese Frage auch nicht. Sie sagte, dass in manchen Fällen die ergänzende Gabe von Anti-Depressiva oder leichten Neuroleptika hilfreich sein kann, merkte aber an, dass die medikamentöse Einstellung immer (!) von einem Neurologen gemacht werden müsse. Ich schrecke immer etwas auf, wenn ich höre, dass Trauernde Medikamente nehmen. Einfach, weil ich der Meinung bin, dass nichts gegen die Gefühle der Trauer helfen kann und es auch ein falscher Ansatz ist, die Gefühle einfach `betäuben’ zu vollen. Mit Medikamenten verzögert man nur die Auseinandersetzung. Gefühle müssen gefühlt werden. Aber natürlich muss man sich den Raum für die Gefühle geben können. Deshalb: wer eine Therapie macht, muss sich bewusst sein, dass man das nicht mal eben neben dem Job oder sonstigen Beschäftigungen machen kann. Gefühle brauchen Raum. Bevor man zu Medikamenten greift, um die Gefühle zu mildern, zu betäuben, um zu funktionieren, sollte man sich Luft und Zeit verschaffen. Zeit zu fühlen.

Ein letzter Gedanke zum Thema Therapie: obwohl ich sehr große Stücke auf meine Therapeutin halte und ein grundsätzlicher Befürworter einer Therapie bin, so gibt es einen weiteren Kritikpunkt für mich: in einer Therapie geht es immer darum den Betroffenen zu stabilisieren. Grundsätzlich bedeutet das, dass auch Konflikte mit der Außenwelt angesprochen werden , aber die Haltung eines Therapeuten immer sein wird: seien Sie egoistischer. Was oder wer ihnen nicht gut tut, sollte gemieden werden. An dieser Haltung ist auch (in der Trauer besonders) etwas dran, aber ich finde, dass jeder, der zu Therapie geht, sich selbst ermahnen muss seine Erzählungen selbstkritisch zu beäugen.

Beispiel Nummer 1: ich thematisierte in der Therapie meinen Mann, weil ich mich einfach um ihn sorgte. Er fing früh wieder an zu arbeiten und seine Woche kann mitunter 120 Stunden haben. Meine Therapeutin gab mir mehrmals zu verstehen, dass ich mich nicht um ihn sorgen solle, sondern auf mich konzentrieren müsse. Da mir meine Ehe und mein Mann sehr am Herzen liegen, mochte ich diese Haltung nicht.

Beispiel Nummer 2: über eine Bekannte vernahm ich vor einiger Zeit, dass sie unser Schicksal und das unseres Sohnes so sehr mitnahm, dass sie es zum Thema bei ihrer Therapeutin machte. Diese sagte über uns (ich weiß den Kontext nicht, aber über Trauernde hat man nicht zu urteilen, jeder Weg ist in Ordnung): wir seien unreif. Ich möchte hier nicht ins Detail gehen, aber Besagte Person war immer sehr herzlich und empathisch, allerdings verstanden wir ihr oftmals egoistisches Verhalten zu Beginn unserer Trauerzeit nicht. Zu einem gewissen Grad denke ich heute ist es auf ihre Therapeutin zurück zu führen. Also - Vorsicht! Therapien können auch entzweien.

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