Mut zur Wut

Vor Kurzem gab es auf Instagram einen Aufruf zu diesem Thema und ich fand es klasse zu sehen, dass ich nicht alleine dastehe mit meine Trauer, die sich durch Wut äußert. Denn Wut ist sicherlich das Gefühl, das ich am wenigsten mit Trauer in Verbindung gebracht hätte. Und es ist auch sicherlich das Gefühl, dass am wenigsten gesellschaftskonform ist. Mit Traurigkeit und Tränen können Mitmenschen umgehen, aber Wut auszuhalten - das ist schwierig.

Wut war eins der Gefühle, dass ich zwar kannte, aber sicherlich nicht in dieser Intensität. Vielleicht in ganz abgeschwächter Form eines sich-ärgerns. Und plötzlich war da diese große Wut. Es gab ja im Grunde niemanden, auf den ich ernsthaft hätte wütend sein können. Deshalb richtete ich zunächst die Wut gegen mich. Immer wieder flammte diese Wut in mir auf und ich wusste überhaupt nicht, wie ich damit umgehen sollte. Es passte nicht zu mir und meinem Bedürfnis nach Harmonie, wütend zu sein. Meine Wut schien wie ein wildes Tier in mir, das ich unbedingt bändigen musste, damit es keinen Schaden anrichtet.

Wut ist so ein Gefühl, das allzu oft unterdrückt wird. Aus Angst, was sie alles kaputt machen könnte. Denn sie kann sich so gewaltig anfühlen, zerstörerisch und böse. In der Trauer ist sie ganz normal und zugleich auch ganz individuell. Manch einer ist wütend auf Ärzte, Unfallverursacher, Gott, das Universum, den Verstorbenen selbst, weil er vielleicht nicht früher zum Arzt gegangen ist oder aus einem Gefühl heraus, dass er uns einfach hier alleine zurück gelassen hat. Inmitten dieser unerträglichen Verzweiflung und all der Scherben unseres bis dahin gemeinsamen Lebens. Ich war einfach nur wütend. Irgendwann richtete sich meine Wut auf Menschen in meinem Umfeld. Ich fühlte mich alleine gelassen, unverstanden, ungesehen und verloren. Das machte mich an vielen Tagen sehr wütend. In mir drin tobte es, wenn Freunde keine Zeit für mich hatten, verletzende Dinge oder einfach gar nichts sagten. Gleichzeitig begriff ich auch, dass sie eigentlich nichts dafür konnten, dass sie mir nichts Böses wollten. So hielt ich meine Wut meist in mir drin und verurteilte mich selbst dafür, überhaupt so wütend zu sein. Manchmal regte ich mich im Gespräch mit einer Freundin über eine andere auf und brachte so ein wenig davon zum Ausdruck. Gleichzeitig fühlte ich mich schlecht, weil ich gar nicht all diese Energie in solche Gespräche stecken wollte, weil ich gar nicht so ein Mensch sein wollte, der sich auf diese Art über andere Menschen aufregt. Und weil es doch eigentlich darum gar nicht ging, schließlich war er gestorben, darum sollte es doch gehen. Aber wohin sollte ich bloß mit all dieser Wut, die in meinem Inneren tobte?

Wut hat eine enorme Energie. So viel Kraft steckt darin, viel mehr als in der doch viel sanfteren, vielleicht gefühlt sogar eher energielosen Traurigkeit. Wenn diese Energie nicht rauskommen kann, wenn sie sich nach innen richtet, dann kann sie in uns einiges anrichten. Menschen anschreien ist vielleicht nicht immer so eine hilfreiche Lösung. Meine Therapeutin riet mir irgendwann, nachts in mein Kissen zu schlagen, wenn die Wut kam. Ich fand das wirklich albern, probierte es aber doch aus, als die Wut mal wieder kaum aushaltbar war. Und tatsächlich, es fühlte sich gut an. Niemand konnte mich sehen dabei und mein armes Kissen hat in dieser Zeit einiges abbekommen. In mir hat das jedes Mal ein wenig Erleichterung gebracht. Ab und zu habe ich von anderen gehört, dass sie sich einen Ort in der Natur suchen, an dem sie laut schreien können. Ich kann mir vorstellen, dass ich das an einem sehr windigen Tag an der Nordsee gut könnte. Da würde mich sicher keiner hören und ich könnte einfach die Wellen anschreien. Irgendwo im Wald fühlte sich das für mich immer komisch an. Was wenn jemand in der Nähe wäre und von meinem Geschrei Angst bekommen würde? Irgendwann erhielt ich noch einen weiteren Tipp, den ich persönlich wirklich hilfreich fand: das Auto. Dort bin ich ganz für mich und niemand kann mich hören. Ich bin in Bewegung und sitze doch in meinem eigenen kleinen Raum. Dort kann ich schreien so viel ich will und störe niemanden. Wenn es richtig schlimm ist, ist es wohl sinnvoll, dafür das Auto anzuhalten, um dich und andere nicht zu gefährden. Mein armes Lenkrad jedenfalls hat sich seitdem schon einiges anhören müssen. Vielleicht sollte ich mich bei Gelegenheit mal dafür bedanken, dass es das so unbeirrt ausgehalten hat. Kennst du das, wenn du dich vor deinem eigenen Schreien erschreckst, weil du gar nicht wusstest, wie tief deine Wut ist, wie laut und energiegeladen? Und nun stell dir mal vor, was all diese Energie in dir drin macht, wenn sie nicht nach außen darf und stattdessen in dir herumtobt.

Egal wie, die Wut möchte ausgedrückt werden, so wie auch die Tränen der Traurigkeit geweint werden wollen. Auch sie ist nur ein Gefühl, das gefühlt werden will. Wenn wir unsere Gefühle wegdrücken, dann wird uns das irgendwann krank machen. Denn sie bleiben irgendwo in unserem Körper, egal wie viel Mühe wir uns damit geben, sie zu ignorieren. Und es kostet so viel Kraft, sie dort zu halten.

 

 

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